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02023 Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei der diagnostischen Anwendung von Röntgenstrahlung

Der Beitrag „Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei der diagnostischen Anwendung von Röntgenstrahlung” widmet sich der kritischen Auseinandersetzung mit dem Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln in der radiologischen Diagnostik. Die Autorin zeigt, dass die Wirksamkeit solcher Mittel oft überschätzt wird und deren Anwendung vielfach zu Nachteilen wie geringer Dosiseinsparung, hygienischen Herausforderungen oder sogar erhöhter Strahlenexposition führen kann. Die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission (SSK) aus dem Jahr 2018 und deren Überarbeitung aus dem Jahr 2022 stehen im Fokus, wobei näher auf situationsabhängige, sinnvolle Einsatzmöglichkeiten eingegangen wird.
Der Beitrag evaluiert verschiedene Untersuchungsmethoden wie CT, Projektionsradiografie und Fluoroskopie und klassifiziert den Einsatz von Schutzmitteln in drei Kategorien. Die Autorin betont, dass die korrekte Patientenpositionierung, die optimale Strahleneinblendung und die Anpassung der Aufnahmeparameter effektivere Maßnahmen zur Dosisreduktion sind. Zudem werden Fehlerquellen bei der Anwendung von Schutzmitteln wie unzureichende Abschirmung, Artefakte oder Dosiserhöhungen diskutiert.
Der Leser profitiert von einer umfassenden Übersicht über die aktuellen Empfehlungen und praktischen Richtlinien, die den Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln in der radiologischen Praxis verbessern können. Die Zusammenfassung bietet eine wertvolle Grundlage für medizinisches Personal, um fundierte Entscheidungen zur Strahlenexposition von Patienten zu treffen.
von:

1 Einleitung

In den letzten Jahren wurde der Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei der diagnostischen Röntgenanwendung zunehmend kritisch hinterfragt. Eine unsachgemäße Anwendung kann sogar die Strahlenexposition der Patienten erhöhen. Im Vergleich zu wichtigen Faktoren wie exakter Patientenpositionierung, korrekter Einstellung der Aufnahme und präziser Strahleneinblendung ist die mögliche Dosisreduktion durch Strahlenschutzmittel relativ gering.
Empfehlung bereits im Jahr 2018
Bereits 2018 empfahl die Strahlenschutzkommission (SSK), bei fast allen Projektionsaufnahmen auf Patienten-Strahlenschutzmittel zu verzichten. Internationale Empfehlungen tendieren ebenfalls dazu, den Einsatz solcher Schutzmittel weitgehend einzuschränken. Gründe dafür sind neben der geringen Wirksamkeit auch mögliche negative Auswirkungen auf die Akzeptanz bei medizinischem Personal und Patienten, hygienische Herausforderungen, erhöhter Arbeitsaufwand und wirtschaftliche Überlegungen.
Da über 92 % der Strahlenexposition der deutschen Bevölkerung durch diagnostische Röntgenuntersuchungen verursacht werden, kann der Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei ausgewählten Untersuchungen dennoch sinnvoll sein. Allerdings sind Art und Anwendung dieser Schutzmittel international umstritten.
Vor diesem Hintergrund hat das Bundesumweltministerium die SSK 2022 gebeten, die Empfehlung von 2018 zu überarbeiten und aktuelle Erkenntnisse einzubeziehen. Dabei soll geprüft werden, ob es technisch und praktisch möglich ist, mit vertretbarem Aufwand die Strahlenexposition außerhalb des diagnostisch relevanten Bereichs signifikant zu reduzieren.
Was berücksichtigt wurde
Die aktualisierte Empfehlung soll dabei unterschiedliche Untersuchungsmethoden (z. B. CT, zahnärztliche Röntgenverfahren, Interventionen), verschiedene Körperregionen sowie besondere Patientengruppen mit erhöhter Strahlensensibilität wie Kinder und Schwangere berücksichtigen. Außerdem sollen Aufwand, Hygienekonzepte und die Compliance der Patienten (etwa beim Anlegen eines Hodenschutzes) in die Bewertung einfließen. Bei manchen Gruppen, etwa Neugeborenen, ist beispielsweise das Anlegen eines Schilddrüsen-Rundumschutzes wegen anatomischer Besonderheiten oft nicht möglich.
Insgesamt steht der sinnvolle, situationsabhängige Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln im Fokus, wobei wichtigere Schutzmaßnahmen wie korrekte Positionierung und Einblendung weiterhin im Vordergrund stehen.

2 Empfehlungen

Eine Anpassung an das Konsensuspapier der EU [1] wird als sinnvoll angesehen, allerdings wird ein genereller Verzicht auf Patienten-Strahlenschutzmittel nicht empfohlen. Zudem wird ein Konzept mit drei Empfehlungskategorien eingeführt, das dem Anwendenden die Entscheidung hinsichtlich der Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln erleichtert.
Bedeutung des Mangels hat sich verlagert
Zu beachten ist, dass bislang das Weglassen von Pb-Schutzmitteln einen erheblichen Mangel darstellte. Zukünftig sollte die fehlerhafte Anwendung von Pb-Schutzmitteln ein Mangelkriterium sein.
Die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln wird demnach für die verschiedenen Untersuchungen gemäß den folgenden drei Symbolen klassifiziert:
Tabelle 1: Klassifizierung für die verschiedenen Untersuchungen
Die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln wird empfohlen. Dies bedeutet, dass eine Begründung für jede Untersuchung individuell gegeben werden sollte, wenn keine Patienten-Strahlenschutzmittel verwendet werden.
Patienten-Strahlenschutzmittel können eingesetzt werden, wenn unter Abwägung aller Aspekte (Strahlenschutz, Strahlenempfindlichkeit, technische Gegebenheiten) keine praktischen Gründe dagegen sprechen.
Der Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln wird nicht empfohlen. Sie können jedoch, die richtige Anwendung vorausgesetzt, nach individueller Abwägung eingesetzt werden.
Die Strahlenschutzkommission empfiehlt:
Patienten-Strahlenschutzmittel gemäß Tabelle 1 nach der oben genannten Kategorisierung anzuwenden und Abweichungen von den Empfehlungen zu dokumentieren,
für oberflächennahe Organe wie Augenlinse oder Schilddrüse, sofern vorhanden, eine sektorielle Röhrenstromabsenkung in der CT zu verwenden,
bei der Fluoroskopie keine Patienten-Strahlenschutzmittel im oder nahe am möglichen Strahlengang anzuwenden,
die Anwendung der Patienten-Strahlenschutzmittel in Arbeitsanweisungen in Abstimmung mit einem Medizinphysik-Experten (MPE) festzulegen,
bei Kindern, Jugendlichen und Schwangeren hinsichtlich der Entscheidung zum Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln das mit einer Strahlenexposition verbundene höhere Risiko zu berücksichtigen,
bei Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln in der CT die Empfehlungen der jeweiligen Hersteller oder des zuständigen MPE unbedingt zu beachten, da es bei fehlerhafter Anwendung zu einer Überexposition bzw. zu einer Minderung der Bildqualität kommen kann,
zur Minimierung des Fehlerpotenzials eine ausreichende und regelmäßige Fortbildung des Personals im Hinblick auf die fortschreitende Geräteentwicklung und deren Einfluss auf die Dosisreduktion im Allgemeinen und die Verwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln im Besonderen zu gewährleisten,
Patienten-Strahlenschutzmittel auf Wunsch des/der Patient*in einzusetzen, falls dies klinisch praktikabel und nicht mit Nachteilen für die Untersuchung verbunden ist.
Die Schulung des Personals zu den Vorteilen des Weglassens der Pb-Schutzmittel ist unerlässlich. Ebenso sollten die Patienten über die neuen Maßnahmen informiert werden, um negative psychologische Effekte zu vermeiden.
Tabelle 2: Anwendung von Patienten-Strahlenschutzmitteln bei verschiedenen Untersuchungsarten
Untersuchungsart
Patienten-Strahlenschutzmittel
Empfehlung
Bemerkung
Computertomografie
CT Hirnschädel
(CCT-cranielle Computertomografie)
Schutz der Augenlinse
Priorisierung:
1.
Ventrale Flexion des Kopfes oder Gantrykippung (effektivster Strahlenschutz), oder
2.
Protektoren, oder
3.
sektorielle Röhrenstromabsenkung
Schilddrüsenschutz bei jüngeren Patient:innen bis ca. 40 Jahre
Protektor oder sektorielle Röhrenstromabsenkung; Schilddrüse liegt nah am Scanfeld.
Schilddrüsenschutz bei älteren Patient:innen ab ca. 40 Jahren
Protektor oder sektorielle Röhrenstromabsenkung; Schilddrüse liegt nah am Scanfeld.
Brustschutz bei Frauen
Brust liegt nicht im Strahlenfeld, signifikante, aber nicht relevante Dosiseinsparung möglich; kann verwendet werden.
CT, NNH-Nasennebenhöhlen
Schilddrüsenschutz
Schilddrüse könnte im Strahlengang liegen; kann angewandt werden, wenn nicht im Scanbereich und es nicht technisch bedingt zu Dosisüberhöhung kommt.
Augenlinsenschutz
Bei hinreichendem Abstand zur Augenlinse möglich; sektorielle Röhrenstromabsenkung oder Protektoren
DVT (digitale Volumentomografie), NNH und Zahnmedizin
Schilddrüsenschutz
Dorsaler Strahlengang; hohes Fehlerpotenzial bei geringer möglicher Einsparung
Augenlinsenschutz
Dorsaler Strahlengang; hohes Fehlerpotenzial bei geringer möglicher Einsparung
CT Gesichtsschädel
Schilddrüsenschutz
Hohes Fehlerpotenzial bei geringer möglicher Einsparung; liegt häufig im Strahlengang des Topogramms und auch des Scanbereichs.
Augenlinsenschutz
Cave: zusätzliche Artefakte durch Protektoren; sektorielle Röhrenstromabsenkung erzielt geringe Dosisreduktion.
CT Thorax
Schilddrüsenschutz
Fehlerpotenzial höher als potenzieller Nutzen; der untere Schilddrüsenpol liegt meist im Scanbereich.
Bleiabdeckung um das Abdomen
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll
CT Abdomen/Becken/
Lendenwirbelsäule
Mann: umschließender Hodenschutz
Nur wenn außerhalb des Scanbereichs
Frau: Ovarialschutz
Nicht sinnvoll aufgrund zentraler Lage der Ovarien, die aus allen Strahlrichtungen exponiert werden
CT/DVT Extremitäten
Kein Schutz notwendig
Aufgrund niedriger Dosis und großer Entfernung zu strahlenempfindlichen Organen nicht sinnvoll, da geringes Einsparpotenzial
Projektionsradiografie
Kopf
Kein Schutz notwendig
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll
Schulter
Kein Schutz notwendig
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll
Thorax a.p./p.a. und seitlich
Kein Schutz notwendig
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll
Brust- und Lendenwirbelsäule
Kein Schutz notwendig
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll, insbesondere nicht bei enger Einblendung
Becken und Hüftgelenk
Mann: Hodenschutz
Bei Verwendung darf das Zielvolumen nicht überlagert werden, und es dürfen keine Interferenzen mit einer Belichtungsautomatik auftreten.
Frau: Ovarialschutz
Möglicher diagnostischer Informationsverlust und häufige fehlerhafte Positionierung des Ovarialschutzes
Abdomen
Mann: Hodenschutz
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll
Frau: Ovarialschutz
Positionierung des Ovarialschutzes sehr fehleranfällig
Extremitäten
Kein Schutz notwendig
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll
Mammografie
Kein Schutz notwendig
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll
Zahnmedizin
Kein Schutz notwendig
Unter Abwägung aller Aspekte nicht sinnvoll

3 Fachliche Grundlagen

Im Strahlenschutz gilt, dass die durch eine Röntgenuntersuchung verursachte Strahlenexposition so gering wie möglich gehalten werden soll, ohne die medizinische Diagnostik zu beeinträchtigen. Körperbereiche, die nicht vom Nutzstrahl erfasst werden, sollten sinnvollerweise geschützt werden. Der gezielte Einsatz von Patienten-Strahlenschutzmitteln kann dies unterstützen, ist aber meist nur eine Ergänzung zu anderen wichtigen Maßnahmen wie exakter Einblendung, optimaler Lagerung und angepasster Einstellung der Aufnahmeparameter.
Korrekte Einblendung unabdingbar
Besondere Bedeutung kommt der korrekten und objektbezogenen Einblendung zu, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, da schon kleine Feldgrößenzunahmen prozentual stärker ins Gewicht fallen. Die Einblendung muss auf dem Bild sichtbar sein und darf nicht digital überdeckt werden.
Bei männlichen Patienten kann nach abgeschlossenem Descensus testis ein Hodenschutz verwendet werden, wenn er sinnvoll erscheint und keine negativen Effekte wie Bildartefakte oder Dosiserhöhungen verursacht. Bei Kindern und Jugendlichen kann – abhängig vom Alter, der Strahlensensibilität und der Häufigkeit der Untersuchungen – in Abstimmung mit den Sorgeberechtigten von der allgemeinen Empfehlung abgewichen und ein Strahlenschutzmittel verwendet werden. Expert*innen der Kinderradiologie können bei der Entscheidung hinzugezogen werden.
Für Patientinnen wird empfohlen, bei Thorax- und Abdomenaufnahmen möglichst die Linksseitenlage mit dorsoventralem Strahlengang zu wählen, um die Strahlenexposition der empfindlichen Brustdrüse und Schilddrüse zu reduzieren.
Bei Schwangeren ist das Risiko für das ungeborene Kind zu berücksichtigen. So kann bei CT-Untersuchungen des Thorax ein Patienten-Strahlenschutzmittel zum Schutz des Uterus sinnvoll sein, da die Uterusdosis als Dosis für das ungeborene Kind gilt.
Patientenposition wichtig
Die Patientenposition (stehend oder liegend) beeinflusst die Praktikabilität des Anlegens von Schutzmitteln. Bei CT-Übersichtsaufnahmen (z. B. Scout, Topogramm) kann das Anlegen von Schutzmitteln im relevanten Bereich zu einer erhöhten Strahlenexposition führen, was insbesondere bei Kindern kritisch ist. Daher sollte eine Abdeckung manchmal erst nach der Übersichtsaufnahme erfolgen.
Bei radiologischen Interventionen sind Patienten-Strahlenschutzmittel selten einsetzbar, da sich diese im Strahlengang durch Winkeländerungen bewegen können und automatische Dosismessungen die Dosis erhöhen können. Zudem befinden sich Risikoorgane wie Augen, Schilddrüse und Brust oft im abgeschwächten Nutzstrahl, sodass Schutzmittel nur wenig zusätzlichen Nutzen bieten.
Patienten-Strahlenschutzmittel müssen bestimmten Normen entsprechen (DIN EN 61331-1 und -3 [2] [3]) und können bleihaltig oder bleifrei sein. Die Schutzwirkung wird in Bleigleichwerten angegeben (zwischen 0,25 mm und 1,0 mm). Für Gonadenschürzen, die außerhalb des Nutzstrahlfeldes eingesetzt werden, gilt ein Mindest-Bleigleichwert von 0,5 mm; bei Hodenkapseln im Nutzstrahl mindestens 1 mm.
Neben der Schutzwirkung müssen auch die Auswirkungen auf den Arbeitsablauf sowie hygienische Anforderungen berücksichtigt werden. Anwendung und Platzierung von Strahlenschutzmitteln sollten in Absprache mit Medizinphysik-Expert:innen erfolgen.
Diese Empfehlung bezieht sich ausschließlich auf die Anwendung von Röntgenstrahlen in der radiologischen Diagnostik und Intervention. Für die bildgestützte Strahlentherapie gelten gesonderte Empfehlungen (SSK 2010 [4]).
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